Auf den Tag genau heute bin ich seit 4 Jahren Mitglied in der Piratenpartei. Gerade habe ich den Brief mit meiner Austrittserklärung eingeworfen. Dieser Schritt ist mir nicht leicht gefallen, aber nachdem ich schon seit einigen Monaten nicht mehr richtig in der Partei drin bin (vom neuen BuVo kam mir kein einziger Name bekannt vor, den Mitgliedsbeitrag für 2014 habe ich schon nicht mehr bezahlt), fehlte wohl nur noch der endgültige Schlussstrich.
Ich versuche hier, einige meiner Gründe für den Austritt darzulegen.
1. Die innerparteiliche Demokratie
Ist kaputt. Ich war nie ein Fan der Basisdemokratie, aber sie war ein Versuch, die Demokratiesimulationen in den anderen Parteien gar nicht erst aufkommen zu lassen. Allerdings krankt das an zu vielen Punkten um wirklich auf Parteiebene funktionieren zu können. Trotz immer besserer Trollfilter können einige wenige einen Parteitag aufhalten.
Selbst wenn jemand weiß, dass er auf einem Gebiet nicht kompetent ist, kann er entweder manuell delegieren und jemand kompetentes Fragen, was ziemlich schlecht skaliert, oder sich enthalten, was praktisch die Mehrheit stützt. Klar haben Delegiertensysteme die bekannten Probleme von sich bildenden Machtzirkeln, die man in anderen Parteien gut beobachten kann, aber die Basisdemokratie halte ich nicht für eine praktikable Alternative. Zu wirklicher Liquid Democracy haben wir es nie gebracht. Und das jetzt noch einzuführen halte ich für kaum machbar.
Und dass wir es bis dato nicht geschafft haben, online (oder wenigstens per Briefwahl) verbindlich abzustimmen, ist ja auch ein schlechter Witz. Und bei der Abstimmung zu den verschiedenen Alternativen für eine SMV auf dem vorletzten BPT hat sich auch wieder gezeigt, dass bei einer basisdemokratischen Abstimmung kaum die beste Alternative gewinnt.
2. Die Genderthematik
Mit 18. wäre ich fast den Grünen beigetreten. Ich habe ein starkes Interesse am Umweltschutz und damals war mir das mit dem Datenschutz auch noch nicht so wichtig und bewusst, schließlich hatte ich erst zwei Jahre lang einen eigenen Rechner. Ich hatte mir sogar schon die Unterlagen der Grünen schicken lassen. Als ich mir aber dann die Satzung genauer durchgelesen hatte, trat schnell Ernüchterung ein: Eine Quote widerstrebt mir zutiefst.
Ich will Menschen nicht aufgrund von Merkmalen unterscheiden, die sie nicht selbst gewählt haben. Selbst, um damit eventuell Diskriminierungen durch andere zu bekämpfen, die aufgrund genau so einer Unterscheidung entsteht. Ich will bei einer Wahl nicht darüber nachdenken müssen, was für ein (biologisches/soziales/whatever) Geschlecht jemand hat. Und eine Quote zwingt mich zu genau dem. Das ist für mich leider ein KO-Kriterium.
Am Anfang war das meinem Gefühl nach auch die vorherrschende Meinung in der Piratenpartei. Mit dem Wachsen der Partei kamen aber auch viele andere Stömungen dazu und inzwischen sehe ich mich hier nicht mehr in der Mehrheit. Natürlich sind Veränderungen normal in einer Partei, und ich halte eine Quote auch für einen validen Weg, es ist nur kein Weg, den ich mitgehen kann.
Die Debatte wird außerdem oft in einer Härte geführt, die ich nicht weiter ertragen kann. Mich als Sexist bezeichnen zu lassen, nur weil eine Quote (und nicht-generisches Gendern) ablehne, das habe ich wirklich nicht nötig.
3. Die NSA-Affäre
Eigentlich bräuchte es Piraten gerade mehr denn je. Aber die Bundestagswahl hat gezeigt, dass Datenschutz einem Großteil der Bevölkerung schlicht egal ist. Nach dem aktuellen Politbarometer halten drei Prozent(!) der Befragten „Datenschutz“ für ein wichtiges Problem, das damit auf Platz 15(!) kommt.
Aber schließlich wollte ich Politik machen um nicht nur für meine Rechte zu kämpfen, sondern hauptsächlich für die der anderen! Aber wenn die Wähler das nicht wollen, dann kann und will ich das ihnen auch nicht aufzwingen. Um nur meine Daten zu schützen, muss ich nicht in die Politik, sondern eher zum CCC.
Warum der Datenschutz so einen geringen Stellenwert besitzt ist mir völlig unklar. Ich habe einen Haufen Freunde dazu befragt, diverse Artikel und Blogposts dazu gelesen, aber eine mich überzeugende Antwort habe ich bisher nicht gefunden. Ich weiß nicht einmal, wie man dafür Interesse wecken könnte.
4. Was du veränderst, verändert auch dich
Wir wollten die Politik verändern, wir haben es wahrscheinlich auch getan. Die Urwahl der Grünen, der Mitgliederentscheid der SPD, das wäre ohne uns wahrscheinlich nicht so passiert. Aber wie immer, wenn man etwas verändern will, verändert es auch einen selbst. Viele der Prioritäten der Anfangsjahre sind in den Hintergrund gerückt. Die Themen Diskriminierung, der Kampf gegen Rechts, BGE und die vielen anderen sind keine unwichtigen – es sind aber nicht meine.
Aber eine Kernthemenpiratenpartei hätte wahrscheinlich noch weniger Chancen auf einen Einzug in den Bundestag. Vielleicht ist das die Politik gar nicht das richtige Mittel, um meine Ziele durchzusetzen? Vielleicht sind meine Ressourcen besser darin eingesetzt, Kryptografie allgemein zugänglich zu machen und auf diesem Weg gegen die NSA zu kämpfen?
Ich sehe im Moment jedenfalls nicht, warum ich meine Energie weiter in die Politik stecken sollte.
Ich war kurz nach dem BGE-Beschluss von Bochum schon einmal kurz davor, auszutreten. Der Kampf gegen ACTA hat mich schließlich zurück gebracht. Wer weiß, was die Zukunft bringen wird.
Die positiven Seiten von fast vier Jahren Piratenpartei würde ich aber auch noch gerne erwähnen: ich habe viel gelernt, habe meine rhetorischen Fähigkeiten in vielen Straßenwahlkämpfen geschärft, habe einen Haufen tolle Leute kennen gelernt, geholfen, ACTA zu Fall zu bringen, habe viele tolle Diskussionen geführt und vieles mehr. Vielen Dank an alle dafür!
Macht’s gut, Piraten! Ihr werdet weiterhin gebraucht!
Ich bin Florin, und ich war vier Jahre lang Pirat.
Ich war auch mal Pirat. Zuvor auch noch beim AK-Vorrat.
Ich habe leider schon lange die Erfahrung gemacht, dass nur wenige Datenschutz für wichtig halten.
Darum hatte ich mehrfach versucht ein paar Punkte mehr ins Programm zu bringen, die auch jemaden außerhalb des Piratenuniversums für wichtig halten könnten und es so nicht bei anderen Partei gibt. Ich habe aber nur Gegenwind bekommen. Den Piarten waren die schnellen Wahlkmaperfolge wichtiger. Es hat sie nie wirklcih zum Nachdenken gebracht wenn langjährige Mitgleider gegangen sind. Es gab ja immer genug neue. Mehr direktere Demokratie haben viele im Programm. Da musste man damit rechnen, dass Wähler die man damit bekommen hat schnell wieder anderes wählen.
Die Piraten sind einfach strukturell unfähig strategische Entscheidungen zu treffen.
D.h. sich mal zu überlegen, zu welchen wichtigen Themen muss man unbedingt eine Aussage im Programm haben und am besten eine die nciht bei anderen Parteien abgeschrieben ist. Man muss auch konsequent seine bisherigen Programmpunkte unterstützen.
Wenn man z.B. das BGE damit begründet, dass es zu wenig Arbeistplätze für alle gibt, dann müsste man logischerweise auch lautstarke Zweifel am angeblichen Fachkräftemangel äußern.
Das wäre ein konsitente Politik.
Schade, dass dir niemand vermitteln konnte, dass nur darueber-nachdenken verhindert, dass ansonsten ueberwiegend Maenner gewaehlt werden, und zwar nicht der Kompetenz wegen. Schade vor allem auch, dass unter „Denk selbst“- und „RTFM“-Piraten niemand die vielen FM aus der Sozialwissenschaft hierzu lesen will.
Die Forschungen der Sozialwissenschaft weisen nach, dass das bei vielen/der Mehrheit/… so ist. Sie weisen nicht nach, dass das bei mir so ist.
Es ehrt dich, wenn du offenbar geschafft hast, die sozialen Praegungen zu ueberwinden, die wir alle ab fruehester Kindheit aufgestempelt bekommen. Das heisst aber nicht, dass es allen anderen so geht.
Der Folgekommentar von Werner Niedermeier passt dann ja wieder wie die Faust aufs Auge – wieder nicht das FM gelesen, sondern ein anekdotisches Beispiel gegen 50 Jahre Sozialwissenschaften stellen wollen. ¯\_(ツ)_/¯
Danke dafür, dass du meinen Kritikpunkt hier genau nochmal vorführst: Wenn man gegen eine Quote ist, wird man irgendwas zwischen uninformiert (nette Variante) und dumm (nicht so nette Variante) genannt. Dass das eine valide Meinung sein könnte, wird überhaupt nicht anerkannt. In der Politik ist nie etwas alternativlos, die Quote ist da keine Ausnahme.
Ich will mich nicht nach dem Geschlecht einer Person richten müssen, egal bei was. Das ist für mich Sexismus und ich werde mich nicht dazu zwingen lassen, mich nach meinen Maßstäben sexistisch zu verhalten. Selbst wenn man damit Sexismus bekämpfen will.
Wenn du informiert bist, solltest du doch aber zumindest die Begriffsdefinitionen kennen? Warum behauptest du dann, Quote sei Sexismus? ¯\_(ツ)_/¯
Ich habe kein Problem damit, deine Meinung als valide anzuerkennen und auch stehen zu lassen. Sie ist damit aber halt genauso gut unterbaut wie die Meinung, man braeuchte Netzsperren zur Bekaempfung von $boeseSache.
Ah ja, erkläre mir bitte weiter, was ich als sexistisch zu empfinden habe und was nicht.
Ich habe darüber nachgedacht, IHR auch ?
Vielleicht solltet IHR einmal Bücher von Evolutionsbiologen lesen (z.B. Ernst Mayr – Das ist Evolution). IHR könntet problemlos herauslesen, daß JEDES Lebewesen EINZIGARTIG ist.
Es gibt keine Frau an sich, keinen Mann an sich und nicht mal einen Menschen an sich. Einen Menschen auf sein Geschlechtsteil zu reduzieren ist gebauso erbärmlich, wie auf irgendein anderes Merkmal.
Sprache ist eine KommunikationsFORM, hier des Menschen und nicht eines Geschlechtsteils.
Eine Wahl ist eine Wertung, ein aristokratische Mittel, demokratisches Mittel wäre das LOS.
Ich kann deinen Schritt verstehen, ich selbst war auch häufig kurz davor. Ich wurde dann von den Menschen in meinem Kreisverband bzw. Bezirks. und Landesverband wieder aus der Twitter-Filterbubble geholt. Das bedeutet, dass die vielen Menschen draußen, die konkret für die Piratenpartei was tun, nichts mit den Gender- und sonstigen Schreiern gemein haben.
Zu stk: Es wäre hilfreicher für alle, wenn du nicht mit Parolen, sondern mit Fakten argumentieren würdest. Zum Beispiel mit diesen: http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Michael_Ebner/Auswertung_Aufstellung_BTW
Quoten sind undemokratisch, da sie einem die freie Wahl nehmen und man gezwungen wird, nach Geschlecht, Wohnort, Alter oder was weiß ich zu „wählen“ und nicht nach Kompetenz oder was sonst für den Einzelnen die Wahlentscheidung ist.